Unsere Exkursion nach Memmingen begann mit einer Führung durch die Ausstellung „Projekt Freiheit Memmingen 1525“ im Dietrich-Bonhoeffer-Haus, einem Treffpunkt für kulturelle und gesellschaftliche Aktivitäten, benannt nach dem evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.

Die Ausstellung erinnert an den Bauernkrieg 1525, als sich Vertreter der oberschwäbischen Bauern in der Kramerzunftstube trafen und die „Zwölf Artikel“ verfassten – eine frühe Forderung nach Freiheitsrechten.
Sie bietet einen detaillierten Einblick in die Lebenswelt der Bauern im 16. Jahrhundert, beginnend mit den harten Arbeitsbedingungen und den alltäglichen Herausforderungen, die das bäuerliche Leben in der damaligen Zeit prägten. Anschließend wird auf die Forderungen der Bauern eingegangen, die in den „Zwölf Artikeln“ festgehalten wurden und die Abschaffung der Leibeigenschaft, gerechtere Steuern und mehr Selbstbestimmung forderten.
Interaktive Tafeln und Hands-On-Stationen laden dazu ein, sich aktiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen – etwa durch digitale Rekonstruktionen oder multimediale Erzählformate.


Das Dietrich Bonhoeffer Haus in Memmingen

 

 
In der Ausstellung "Projekt Freiheit Memmingen 1525", rechts: Wichtige Persönlichkeiten der damaligen Zeit, überliefert als Schnitzfiguren im Chorgestühl der Kirche St. Martin, wurden für die Ausstellung KI-animiert zu sprechenden Zeitzeugen.

 

 
links: Flugschriften vermutlich von Sebastian Lotzer (um 1490 - nach 1525), rechts: Original eines Drucks der Zwölf Artikel vermutl. Sebastian Lotzer, Straßburg, 1525, Druck Wolfgang Köpfel, 1525

 


Memmingens Reformator Christoph Schappeler von Caspar Hagenbuch (um 1525 - um 1579), St. Gallen,1561.
Schappeler wirkte ab 1513 als Prediger in St. Martin und bekannte sich früh zur reformatorischen Lehre.

Der anschließende Stadtrundgang führte uns zu historischen Schauplätzen: 

Die Stadtkirche St. Martin, finanziert von den Bürgern der Stadt, Baubeginn 1325 und um 1500 fertiggestellt, war damals die größte gotische Kirche zwischen Bodensee und Lech.
Noch heute kann man im Innern bedeutende Kunstwerke betrachten, wie das 500 Jahre alte Chorgestühl und Werke der berühmten Memminger Künstlerfamilie Strigel. Dazu zählt unter anderem der Altaraufsatz von Bernhard Strigel (1520) und die Fresken der Zangenmeisterkapelle, die 1531 beim Bildersturm verdeckt und erst 1963 wieder freigelegt wurden.


Orgelkonzert in der Kirche St. Martin


Fresko von Johann Friedrich Sichelbein (1648-1719)

  
links: Kirche St.Martin, Altarraum mit Chorgestühl, rechts: freigelegte Fresken der Künstlerfamilie Strigel in der Zangenmeister-kapelle 
     


Chorgestühl mit Darstellung einer historischen Figur aus der Zeit um 1525

St. Martin war 1525 Zentrum der Reformation. Hier verbreitete Christoph Schappeler, ein Theologe aus St. Gallen, seine reformatorischen Ideen und half den Bauern bei der Formulierung der „Zwölf Artikel“. Seine klaren, verständlichen und sozialkritischen Predigten, die sich an den Ideen von Ulrich Zwingli orientierten, fanden großen Anklang, sodass der Zulauf in der St. Martinskirche deutlich höher war als in den Kirchen mit traditionellen lateinischen Gottesdiensten. Trotz seines Einsatzes für einen friedlichen Weg galt er dem Schwäbischen Bund als führender Aufständischer. Nach der Besetzung Memmingens 1525 floh er nach St. Gallen, wo er bis zu seinem Tod 1551 zurückgezogen lebte.

In der Herrenstraße 7 befand sich das Wohnhaus des Kürschners und Laienpredigers Sebastian Lotzer, der maßgeblich an der Abfassung der Beschwerden der Bauern und der „Zwölf Artikel“ beteiligt war. Als sich im April 1525 der Konflikt zwischen den aufständischen Bauern und dem Schwäbischen Bund zuspitzte, floh Lotzer in die Heimatstadt seines Weggefährten Christoph Schappeler nach St. Gallen. Dort verliert sich seine Spur.

Die Lateinschule in Memmingen wurde bereits Ende des 13. Jahrhunderts erwähnt und stand unter der Aufsicht des Bischofs von Augsburg. Sie bereitete ausschließlich Jungen aus wohlhabenden Familien auf geistliche Berufe oder Universitätsstudien vor, wobei der Unterricht auf lateinische Texte und geistliches Liedgut fokussiert war. Paul Höpp aus Augsburg war von 1521 bis 1525 Schulleiter und Unterstützer der Bauernrevolution. Eine Anekdote erzählt, dass Höpp geheime Diskussionsrunden mit älteren Schülern über Ungerechtigkeiten abhielt, die er als Lateinübung über römische Freiheitskämpfer tarnte, als ein Ratsherr das Treffen störte.


Die ehemalige Latainschule, erstmals erwähnt Ende 13. Jh.

Nach der Niederschlagung des Aufstands wurde Höpp ohne Prozess auf dem Marktplatz enthauptet. Seit 1848 wird das Haus als Weinstube genutzt. Aus dieser Zeit stammt auch die Figurengruppe an der Hausecke.

Das Haus der Kramerzunft am Weinmarkt in Memmingen ist ein historisch bedeutender Ort. Er war 1525 Schauplatz der Verabschiedung der „Zwölf Artikel“ durch etwa 50 Vertreter der oberschwäbischen Bauernhaufen, ein Meilenstein für die Forderung nach Freiheitsrechten. Ursprünglich von 1462 bis 1478 im Besitz der Malerfamilie Strigel, erwarb die Kramerzunft das Haus im Jahr 1479 für 460 rheinische Gulden und ließ 1512 die Zunftstube mit einer gotischen Holzdecke vertäfeln, die bis heute erhalten ist. Nach der Einführung einer Ratsverfassung 1551 verloren die Zünfte an Einfluss und das Haus wurde als Wohnhaus genutzt.


Das Haus der Kramerzunft, 1525 Schauplatz der Verabschiedung der „Zwölf Artikel“


Die historische Deckenverkleidung im Haus der Kramerzunft

Im 19. Jahrhundert wechselten die Besitzer mehrfach, die historische Saaltür und Wandvertäfelung fiel den Umbaumaßnahmen zum Opfer. Die Holzdecke wurde hinter einer abgehängten modernen Decke verblendet. Erst im Zuge einer statischen Sicherung wurde die historische Decke kurz nach der Jahrtausendwende wieder freigelegt. 2020 ehrte man das Haus als „Ort der Demokratie“, was seinen kulturellen Wert unterstreicht.

Der Memminger Freiheitsbrunnen, 2014 feierlich eingeweiht und aus Privatspenden engagierter Bürger finanziert, ist ein beeindruckendes Denkmal für die „Zwölf Artikel“ von 1525. Entworfen vom Augsburger Künstler Andy Brauneis, erhebt sich die rund 2,5 Tonnen schwere Bronzestele in zwölf schlanken Tafeln zu einem neun Meter hohen Turm. Der Sockel des Brunnens besteht aus 49 Steinquadern, auf denen Auszüge der Zwölf Artikel eingraviert sind. Eine feine Nebeltechnik lässt Wasser leicht über die Anlage schweben – als Symbol für Reinigung, Leben und Wandlung.


Der Memminger Freiheitsbrunnen, 2014 eingeweiht, entworfen vom Augsburger Künstler Andy Brauneis

Das Ensemble aus Rathaus und Steuerhaus am Marktplatz in Memmingen bildet ein beeindruckendes Zeugnis der Renaissance-Architektur und der historischen Bedeutung der ehemaligen Freien Reichsstadt. Das Rathaus, erbaut zwischen 1579 und 1589 unter der Leitung des Memminger Baumeisters Johann Jakob Ehinger, ist ein mehrstöckiger Bau, der Elemente der Renaissance mit gotischen Einflüssen kombiniert.
Als politisches Zentrum der Stadt diente das Rathaus als Sitz des Rates, der im März 1525 im sogenannten „Memminger Manifest“ die Forderungen der Bauernhaufen nach Abschaffung der Leibeigenschaft und gerechterer Steuern unterstützte, indem er die „Zwölf Artikel“ anerkannte. Diese Unterstützung wurde jedoch nach der brutalen Niederschlagung des Bauernkriegs durch den Schwäbischen Bund zurückgezogen, was die pragmatische Haltung des Rates widerspiegelt. 
Das Steuerhaus, ebenfalls von Johann Jakob Ehinger erbaut, harmoniert stilistisch mit dem Rathaus und bildet ein einheitliches Ensemble. Dieser zweigeschossige Bau diente als Verwaltungssitz für die Finanzverwaltung.
Die beiden Gebäude, zusammen mit dem nahegelegenen Haus der Großzunft, schaffen ein harmonisches architektonisches Dreieck, das den Marktplatz als Herzstück Memmingens rahmt und sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Geschichte der Stadt widerspiegelt.


Rathaus mit Brunnen


Das Steuerhaus diente als Verwaltungssitz für die Finanzverwaltung

Nach einem stärkenden Mittagessen im Italienischen Restaurant Oro Nero in der Herrenstraße ging es ins Antoniter- und Strigel-Museum. 
Das vierflügelige Antoniterhaus stammt aus dem späten 15. Jahrhundert (1456–1500) und wurde ursprünglich als Hospital erbaut – speziell zur Behandlung des sogenannten Antoniusfeuers. Die beeindruckende Anlage gilt als die älteste erhaltene Niederlassung des Antoniterordens in Europa. Dank des Engagements einer Memminger Bürgerinitiative konnte das historisch bedeutsame Gebäude vor dem Verfall bewahrt und nach einer aufwändigen, zwölfjährigen Sanierung im Jahr 1996 feierlich wiedereröffnet werden.
Heute beherbergt das Antoniterhaus ein Museum, das die Geschichte des Ordens umfassend beleuchtet. Zwischen 1214 und 1562 unterhielt der Antoniterorden diese bedeutende Niederlassung in Memmingen, deren Schwerpunkt auf der Pflege und Heilung von Patienten mit Antoniusfeuer lag. Die Krankheit, auch Mutterkornbrand genannt, wurde durch den Verzehr von mit dem Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) befallenem Getreide ausgelöst und führte zu schweren körperlichen Beschwerden, wie brennenden Schmerzen, Krämpfen, Halluzinationen sowie Durchblutungsstörungen, die oft in Gangrän oder Amputationen endeten. Die Ursache war lange unbekannt, was die Behandlung umso herausfordernder machte.
Der Orden entwickelte spezielle Heilmittel wie den „Antoniusbalsam“, eine Kräutermischung mit antibakterieller und blutstillender Wirkung, sowie den „Antoniuswein“, ein Getränk mit 14 Heilkräutern, dem eine besondere Wirksamkeit zugesprochen wurde – nicht zuletzt durch die Verbindung zu Reliquien des heiligen Antonius. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt im 17. Jahrhundert erkannte man schließlich den Zusammenhang zwischen Mutterkornvergiftung und kontaminiertem Getreide. Verbesserte Hygiene und Ernährungsstandards führten dazu, dass die Krankheit stark zurückging. Damit erlosch der ursprüngliche Auftrag des Ordens.


Ausstellung im Antoniterhaus mit figürlichen Darstellungen des Heiligen Antonius 


Bild von Bertnhard Strigel (um 1520) mit einer Darstellung zur Legende der Heiligen Ursula
 
Das Strigel-Museum im Antonierhaus präsentiert eine umfassende Dauerausstellung zur bedeutenden Memminger Künstlerfamilie Strigel, deren Wirken die Kunstlandschaft des Spätmittelalters entscheidend prägte. Im Zentrum steht Bernhard Strigel, der bedeutendste Vertreter der Familie. Die Ausstellung spannt einen zeitlichen Bogen von den ersten archivalischen Nachweisen zu Hans Strigel dem Älteren im Jahr 1430 bis zum Tod Bernhard Strigels im Jahr 1528 – und damit nahezu über ein Jahrhundert Memminger Kunstgeschichte.

Parallel dazu widmet sich eine Sonderausstellung der Graphic Novel „1525 – Der Aufstand“ von Giulio Camagni, einem italienisch-österreichischen Künstler. Gezeigt werden zahlreiche Originalzeichnungen und Aquarelle, die Camagni für sein Werk geschaffen hat. Die Graphic Novel beleuchtet die Geschehnisse des Bauernkriegs in all ihrer Komplexität – aus Memminger Perspektive, ebenso an Schauplätzen wie Leubas, Stuttgart, Innsbruck und Nürnberg. So entsteht ein vielschichtiges Bild eines historischen Aufstands, der über regionale Grenzen hinauswirkte.


Skizzen zur Graphic Novel "1525 - Der Aufstand" von Giulio Camagni



Beispiel einer Seite der Graphic Novel


Skizze der Graphic Novel

Die letzte Etappe unserer Exkursion führte uns zur Kartause Buxheim.

Die Kartause Buxheim des ehemaligen Kartäuserklosters gilt als das besterhaltene Kloster dieser Art im deutschsprachigen Raum und bietet einen faszinierenden Einblick in über 600 Jahre Ordensgeschichte und klösterliche Lebensweise.
Der Kartäuserorden, 1084 von Bruno von Köln im Massiv von La Chartreuse gegründet, ist ein streng kontemplativer katholischer Orden mit Fokus auf Einsamkeit und Gebet. Die Kartäuser folgen der Ordensregel der Consuetudines Cartusiae, die 1128 von Guigo I. vorbereitet und 1140 vom Generalkapitel der Kartäuser genehmigt wurde. Diese Regel betont die eremitische Lebensweise, d.h., die Mönche leben hauptsächlich in Einzelzellen und haben nur begrenzten Kontakt zur Gemeinschaft. Außerhalb der Liturgie herrscht Schweigen, die Ernährung ist vegetarisch. Der Orden blühte im Mittelalter mit über 200 Klöstern und schrumpfte durch Reformation und Säkularisation auf heute etwa 20 Klöster.


Übersichtszeichnung der Kartause in Buxheim

   
links: Spartanische Einrichtung einer Priestermönchszelle (kleines Haus) mit angrenzendem Garten

Die Kartause Buxheim wurde 1402 gegründet und entwickelte sich unter Heinrich von Ellerbach zu einem bedeutenden spirituellen und kulturellen Zentrum. Nach einer Krise während der Reformation im 16. Jahrhundert, als die Reichsstadt Memmingen das Kloster besetzte, sicherte Prior Dietrich Loher 1548 den Status einer reichsunmittelbaren Reichskartause unter kaiserlichem Schutz, was Buxheim zur einzigen ihrer Art in Deutschland machte. 
Die barocke Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert brachte prächtige Umgestaltungen durch die Gebrüder Zimmermann. Hervorzuheben ist die Annakapelle, ein Rokoko-Juwel.

     
Annakapelle, gestaltet von den Gebrüdern Zimmermann, rechts ihr Zeichen auf einer Säule

Klosterkirche St. Maria und das berühmte Buxheimer Chorgestühl

Das Chorgestühl des Priesterchors ist dreistufig gegliedert: Die untere Ebene mit Masken symbolisiert dämonische Mächte wie Krankheiten und Kriege; die mittlere Ebene mit Mönchsfiguren und Ordensgründern steht für die Hingabe an Gott und die oberste Ebene mit den zwölf Aposteln verkörpert den Glauben. 
Nach der Säkularisation 1803 wurde das Gestühl 1883 versteigert, landete in einem englischen Frauenkloster und wurde dort schwarz angestrichen. 1980 hat es der Bezirk Schwaben für etwa 1 Millionen Euro zurückgekauft. Nach einer 14-jährigen Restaurierung kann es seit 1994 wieder am ursprünglichen Standort besichtigt werden.


Der Kreuzgang-Lettner der Klosterkirche St. Maria trennt den Brüder- und Priesterchor


Das berühmte barocke Chorgestühl des Priesterchors der Kartause Buxheim

    
Beispiele von aufwendigen Schnitzereien im Chorgestühl

Der Hochaltar der Klosterkirche, entworfen 1746 von Dominikus Zimmermann, ist ein beeindruckendes Zeugnis der barocken Baukunst und ein Höhepunkt der künstlerischen Ausgestaltung des Klosters. Das zentrale Altarbild, die „Verherrlichung der Heiligen Dreifaltigkeit“ stammt von Johann Georg Bergmüller der auch das Deckenfresko im Dießener Marienmünster geschaffen hat.


Hochaltar der Klosterkirche mit Altarbild von Johann Georg Bergmüller


Teil des Kreuzgangs

Mit Blick auf das Wasser haben wir den Tag im Wirtshaus Wiesenbräu am malerischen Buxheimer Weiher ausklingen lassen.

 

Filmtipp zu den Bauernkriegen in der BR-Mediathek

500 Jahre "Zwölf Artikel": Memmingen erinnert an den Bauernkrieg


Beschreibung: Vor 500 Jahren erhoben sich die Bauern gegen die Unterdrückung durch ihre Grundherren, ihre Forderungen formulierten sie in Memmingen in den "Zwölf Artikeln". Das wird am Wochenende groß gefeiert, und auch sonst gibt es viele Veranstaltungen zum Thema.

ausgestrahlt 14.03.2025 , verfügbar bis 14.03.2027

Link zum Film in der BR-Mediathek